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Was in der Wikipedia steht, erreicht die Massen. Eine Milliarde Mal wurden die über zweieinhalb Millionen Einträge der deutschsprachige Version allein im November aufgerufen. Was die Plattform so beliebt macht, ist ihr Grundprinzip der Neutralität: Einträge müssen aus neutraler Perspektive verfasst werden - so, dass sowohl Gegner als auch Befürworter eines Themas die Darstellung tolerieren können. Besonders wichtig ist das im Bereich der Politik, wo positive oder negative Darstellungen die Wählenden beeinflussen.

Wir haben uns deshalb gefragt: Wer verfasst eigentlich die Einträge der Schweizer Politikerinnen und Politiker? Und wie steht es um deren Neutralität?

Um das herauszufinden, haben wir gemeinsam mit netzpolitik.org alle 253 Einträge der Schweizer National-, Stände- und Bundesrät:innen analysiert. Und dabei herausgefunden: Nicht alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier respektieren das Grundprinzip der Neutralität. Parteiische Autor:innen sind keine Seltenheit. Und einige von ihnen schrecken auch vor Manipulationsversuchen nicht zurück.  

Wer schreibt?

Wir haben uns in einem ersten Schritt angeschaut, wer die Einträge der Schweizer Politikerinnen und Politiker verfasst und bearbeitet hat (Stand: 4. Oktober 2021). Insgesamt haben 1564 verschiedene User bei den 253 Einträgen mitgeschrieben. Diese Vielfalt relativiert sich allerdings bei einem genaueren Blick auf die Zahlen:

  • 1168 der Benutzer haben nur an einem einzigen Eintrag mitgearbeitet.
  • Die 10 aktivsten User sind für über 30 Prozent aller Informationen über die Schweizer Parlamentarier:innen verantwortlich. Die 50 aktivsten haben gemeinsam 60 Prozent verfasst.
  • Bei 99 Einträgen hat ein einziger User mehr als die Hälfte des Inhalts geschrieben. Diese Personen haben einen grossen Einfluss darauf, wie die von ihnen beschriebenen Politikerinnen und Politiker dargestellt werden.
  • Den grössten Beitrag haben die User KurtR (6.8%), Fonero (5.4%) und Felis silvestris catus (4.5%) geleistet.
  • An den meisten Einträgen beteiligt waren Fonero (211), CenturioST (155) und KurtR (129).

Insgesamt lassen sich diese Autor:innen grob in drei Kategorien aufteilen:

  1. Die Etablierten. Das sind User, die sich aktiv am Wikipedia-Projekt beteiligen, die unterschiedlichsten Themen bearbeiten und meist Informationen zur eigenen Person auf der Benutzer-Seite publizieren. Oft bezeichnen sie sich selbst als Wikipedianer.
  2. Die Unbekannten. Zahlreiche User geben kaum etwas bis gar nichts über sich preis und haben in der Vergangenheit nur vereinzelt Artikel zu bestimmten Themen bearbeitet. Einige von ihnen schreiben auffällig oft bei Einträgen von Politiker:innen bestimmter Parteien mit. Aufgrund ihrer Anonymität lässt sich ein allfälliger Interessenkonflikt weder be- noch widerlegen.
  3. Die Politischen. Diese Personen konnten wir als User mit politischem Interessenkonflikt identifizieren. Darunter befinden sich bezahlte Akteure wie PR-Firmen oder persönliche Mitarbeitende, aber auch Familienmitglieder und die Politiker:innen selbst. All diese Akteure unterliegen per Wikipedia-Definition einem Interessenkonflikt und sind daher potenziell problematisch. Auf ihre Fälle wird im Kapitel 4 eingegangen.

Was ist problematisch?

Wikipedia versteht sich als ehrenamtlich erstellte, neutral orientierte und werbefreie Enzyklopädie, bei der grundsätzlich alle mitschreiben dürfen. Dennoch gibt es insbesondere beim Schreiben mit Interessenkonflikt gewisse Einschränkungen. Vereinfacht formuliert sollten drei Regeln befolgt werden:

1: Am besten nicht mit Interessenkonflikt schreiben. «Von der Artikelanlage und -bearbeitung im Interessenkonflikt raten wir generell ab», lautet eine Richtlinie der Wikipedia. Schreiben in eigener Sache kann problematisch sein und widerspricht den Grundprinzipien der Enzyklopädie. Als besonders heikel gilt bezahltes Schreiben. Das sind Bearbeitungen im Auftrag von Dritten, von denen sich die User materielle oder immaterielle Vorteile versprechen. Dazu gehört auch die Bearbeitung des eigenen Eintrags.

2: Wer dennoch bezahlt schreibt, muss dies transparent machen. Das heisst: Bei allen Beiträgen, für die jemand eine Vergütung erhält oder erwartet, müssen Arbeitgeber, Kunden und Zugehörigkeit offengelegt werden.

3: In jedem Fall gilt: Inhalte müssen dem Wikipedia-Standard entsprechen. Sie müssen also von einem neutralen Standpunkt aus geschrieben werden und Themen sachlich darstellen. Wikipedia versteht sich ausdrücklich nicht als Plattform für Werbung oder Selbstinszenierung.

Wie mans richtig macht, zeigt die FDP St. Gallen. Die Partei registrierte den Benutzername FDP SG und liess ihn verifizieren, bevor sie im Februar 2019 einen Eintrag für die Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher erstellte. Damit ist transparent ersichtlich, welche Bearbeitungen mit Interessenkonflikt erfolgt sind. Ebenfalls vorbildlich handelte Jonas Hirschi, der als SP-Mitglied und persönlicher Mitarbeiter von Nadine Masshardt den Eintrag der Nationalrätin mehrmals bearbeitet hat: Er registrierte sich als Nutzer und machte den potenziellen Interessenkonflikt transparent. Auf Anfrage schreibt Hirschi: «Wenn die Regeln der Wikipedia eingehalten werden, können meines Erachtens trotz persönlichem Engagement neutrale Beiträge geschrieben werden.» Sowohl seine Beiträge als auch die der FDP St. Gallen sind sachlich und neutral gehalten.

Wie mans nicht machen sollte, zeigen andere User mit Interessenkonflikt, die wir identifizieren konnten. Im Folgenden haben wir Fälle aufgelistet, in denen entweder gegen die Transparenz- oder die Neutralitäts-Richtlinien verstossen wurde. Beschriftet sind die Beispiele mit den Namen der involvierten Politikerinnen und Politikern. Ob diese für den Verstoss verantwortlich sind oder davon wussten, hängt davon ab, wer den Eintrag bearbeitet hat: Manchmal waren es die Politiker:innen selbst, manchmal handelte es sich um bezahltes Schreiben im Auftrag der Politiker:innen, manchmal um andere Interessenkonflikte und in einigen Fällen blieben die User gänzlich anonym.

Weil es aufgrund der weitgehenden Anonymität der Wikipedia-User nicht möglich ist, alle Autor:innen mit Interessenkonflikt zu identifizieren, erhebt die folgende Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Alle Angaben zum Anteil der jeweiligen User am Gesamttext stammen vom 4. Oktober 2021.

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Politiker:in bearbeitet selbst

In den folgenden Fällen haben Politiker ihren eigenen Eintrag bearbeitet. Laut Wikipedia gilt das als Bezahltes Schreiben und muss transparent gemacht werden.

SR Josef Dittli (FDP/Uri): mangelnde Transparenz, Löschversuch

 
Josef Dittli

Beim Urner Ständerat Josef Dittli fällt auf, dass ein nicht registrierter User namens Dittli in einen Löschversuch und einen damit verbundenen, kurzen Edit-War verwickelt war. Am 8. Januar um 15:51 Uhr‎ löschte er folgenden Abschnitt aus dem Eintrag des FDP-Politikers:

„Er sprach sich im September 2018 für eine Lockerung der Kriegsmaterial-Verordnung aus und befürwortete eine Ausweitung der Kriegsmaterialexporte auf Länder, die in einem inneren Konflikt stehen.“

Kurz darauf machte der etablierte User Regi51 die Löschung rückgängig.  

Zwei Minuten später löschte Dittli den Satz erneut.

Um 15:56 Uhr machte User Regi51 die Löschung zum zweiten Mal rückgängig und verhinderte weitere Bearbeitungen, indem er den Eintrag vorübergehend schützte. Sein Kommentar zum Verhalten von User Dittli: „Wiederkehrender Vandalismus“.

Auf den Vorfall angesprochen, bestätigt Josef Dittli, dass er hinter dem Usernamen steckt.

NR Felix Wettstein (Grüne/Solothurn): mangelnde Transparenz, Werbung

Auch der Solothurner Grünen-Nationalrat Felix Wettstein versuchte sein Wikipedia-Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Sein Eintrag wurde zu 73.2 Prozent von User Felixwettstein verfasst und Ende Juli 2019 erstellt –  mitten im Wahlkampf und drei Monate vor Wettsteins Wahl in den Nationalrat.

Auf Anfrage bestätigt der Politiker, dass er den Eintrag selbst erstellt hat. Zwar nutzte er dazu seinen Namen, er erstellte jedoch kein Benutzerkonto und machte damit nicht transparent, dass es sich beim schreibenden User um den beschriebenen Politiker handelt. Im Rahmen der Nationalratswahlen habe er «eine grundsätzliche Anregung aufgegriffen, wonach es über die Mitglieder des nationalen Parlaments einen Wikipedia-Eintrag geben soll», erklärt Wettstein. Die Neutralität von Wikipedia schätze er als «sehr erstrebenswert» ein, weshalb er sich beim Verfassen des Eintrags um Objektivität bemüht habe.

Ganz gelungen ist dem Grünen-Politiker das objektive Schreiben allerdings nicht. Indem er am 29. Juli 2019 seine politischen Erfolge aufzählte, verstiess er gegen die Richtlinien von Wikipedia. Noch am gleichen Tag löschte User Lutheraner grosse Teile des Eintrags und kommentierte: «Werbeblock raus».

NR Balthasar Glättli (Grüne/Zürich): transparent, Löschversuch

Der Zürcher Nationalrat und Parteipräsident der Grünen Balthasar Glättli ist mit 17,3 % Anteil der wichtigste Autor seines eigenen Beitrags. Dass er hinter dem Benutzernamen Bglaettli steckt, macht der Politiker vorbildlich transparent. Seine Beiträge sind grundsätzlich sachlich – bis auf eine gewichtige Ausnahme. Am 13. November 2015 versuchte Glättli mehrere Abschnitte aus seinem Eintrag zu löschen. Einerseits verschwanden zahlreiche Informationen zu seiner Ausbildung und seinem Beruf – zum Beispiel, dass er 2015 sein Studium abgebrochen hatte. Andererseits löschte der Politiker auch eine private Information mit politischer Relevanz: den Hinweis auf seine Ehe mit der SP-Politikerin Min Li Marti, die kurz zuvor in den Nationalrat gewählt worden war.

Beide Abschnitte wurden innert Kürze von User Logograph wieder hergestellt und sind bis heute Teil des Eintrags.

Politiker:in gibt Auftrag zur Bearbeitung

In den folgenden Fällen haben die bearbeitenden User im Auftrag der Politiker:innen gehandelt. Das ist laut Wikipedia Bezahltes Schreiben und muss transparent gemacht werden.

SR Maya Graf (Grüne/Baselland): mangelnde Transparenz, Werbung

Wer sich vor dem 27. Mai 2020 über die Grünen-Politikerin Maya Graf informieren wollte, landete auf ihrem sachlichen und relativ kurzen Eintrag. Dann trat User Petra Huth in Aktion, ergänzte knapp 1800 Zeichen und verschönerte den Artikel. Statt mit der üblicherweise sehr sachlichen und kurzen Einleitung begann der neue Eintrag mit einem Werbetext: Maya Graf ist stark engagiert für den Ausbau der Forschung, insbesondere der Agrarforschung. Sie engagiert sich u.a. stark in und für die duale Berufsbildung, für nachhaltiges Wirtschaften, Kreislaufwirtschaft Natur- und Umweltschutz, das Gewerbe, Gleichberechtigung und soziale Nachhaltigkeit. 2018 gestaltete sie als Vizepräsidentin die Kampagne zur Fair Food-Volksinitiative der Grünen Schweiz mit.Geschrieben wurde der Text mutmasslich von Petra Huth, die mit ihrer Firma Huth Consulting unter anderem Ghostwriting anbietet. Statement Huth Wenige Stunden nach ihrer Bearbeitung wurde der Artikel durch den Wikipedianer Hadi «wikifiziert». Er sagt dazu: «PR-Personen verstehen manchmal nicht, dass sie ihre PR-Sprache nicht auf Wikipedia verwenden können. So fliegen sie schnell auf.» Jedoch: Die umfangreiche Einleitung findet sich leicht abgeschwächt bis heute auf Wikipedia.

NR Isabelle Moret (FDP/Waadt): mangelnde Transparenz, Löschversuch

Der Eintrag der FDP-Nationalrätin Isabelle Moret wurde zu 66.6% von User P Loertscher verfasst. Eine kurze Recherche ergibt, dass Morets persönlicher Mitarbeiter Philippe Loertscher heisst und auf Twitter den Benutzername P_Loertscher verwendet. Unsere Anfrage, ob diese Vermutung korrekt ist und XXX, blieb unbeantwortet.

Die Bearbeitungen von P Loertscher sind weitgehend sachlich und betreffen vor allem den politischen Werdegang der Waadtländer Parlamentarierin. Ein Zwischenfall vom August 2017 zeigt jedoch, wie problematisch die Mitarbeit von Usern mit Interessenkonflikt sein kann. Am 17. August 2018 um 16:33 Uhr ergänzt P Loertscher nicht nur Morets Lebenslauf, sondern löscht auch einen Hinweis auf ihre Mitgliedschaft bei der Informationsgruppe Erfrischungsgetränke – einer auf Initiative von Getränkeherstellern gegründeten Lobbygruppe für Süssgetränke. Kleinere Schreibfehler von User P Loertscher korrigieren Wikipedianer innert kürzester Zeit, seine Löschung hingegen wird erst vier Tage später von User KurtR rückgängig gemacht.

NR Andri Silberschmidt (FDP/Zürich): mangelnde Transparenz, Löschung

Der Eintrag von Nationalrat Andri Silberschmidt wurde zu 38.9% von User Lukas Aecherli verfasst. Der FDP-Politiker bestätigt auf Anfrage, dass es sich dabei um seinen gleichnamigen persönlichen Mitarbeiter handelt. Die meisten Bearbeitungen von Lukas Aecherli sind sachlich und entsprechen den Wikipedia-Richtlinien. Doch am 17. November 2019 verschwand plötzlich ein Hinweis aus Silberschmidts Werdegang. Statt «Er brach nach neun Schuljahren das Wirtschaftsgymnasium ab und absolvierte anschliessend eine Banklehre (…)» hiess es nun «Im Zürcher Oberland aufgewachsen, entschied sich Silberschmidt nach der obligatorischen Schulzeit für eine Banklehre mit Berufsmatur (…).» Lukas Aecherli liess die Tatsache verschwinden, dass sein Auftraggeber das Gymnasium abgebrochen hatte. Von dieser Änderung habe er nichts gewusst, sagt Andri Silberschmidt auf Nachfrage. Er habe kein Problem damit, über den Schulabbruch zu sprechen und gehe damit transparent um. Tatsächlich sprach er im Oktober 2021 gegenüber dem SRF offen über die Begebenheit und sagte bereits 2018 in einem Interview: «Ich konnte nicht fünf Tage die Woche die Schulbank drücken.»  

NR Franz Grüter (SVP/Luzern): transparent, Beschönigung

Unter den Wikipedia-Autor:innen tummeln sich nicht nur Politiker:innen und parteinahe User - auch bezahlte, externe Akteure wie PR-Agenturen oder Kommunikations-Beraterinnen schreiben mit. So wurde etwa der Eintrag des Luzerner SVP-Nationalrats Franz Grüter von der deutschen einfach machen Unternehmenskommunikation GmbH bearbeitet. Diese macht ihren Eingriff transparent und listet auf dem verifizierten Benutzerkonto vorbildlich alle Auftragsbearbeitungen auf. Franz Grüter sagt auf Anfrage, dass er die Agentur beauftragt habe, um ein seiner Ansicht nach falsches Zitat zu ändern. Die deutschen Wikipedia-Profis machten aus dem Abschnitt Grüter bekannte sich vor den US-Präsidentschaftswahlen 2016, der «wohl grösste Fan von Donald Trump im Bundeshaus» zu sein. neu Weil Grüter vor der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten 2016 «einer der wenigen Schweizer Politiker gewesen [war], die den Sieg Trumps vorausgesagt hatten», wurde er «damals vom ‹Blick› kurzerhand als ‹Trump-Fan› bezeichnet»Der Wikipedianer KurtR wehrte sich gegen diese Änderung und wies darauf hin, dass es sich bei der Aussage «Ja, ich bin wohl der grösste Trump-Fan im Bundeshaus (lacht)» um ein Zitat Grüters handle. Die deutsche Agentur liess nicht locker und schaffte es nach mehrmaligem hin und her, den Trump-Hinweis abzuschwächen. Die Anekdote steht beispielhaft dafür, dass Wikipedia-Artikel durch Beharrlichkeit und bezahltes Schreiben zum eigenen Vorteil verändert werden können. Anfang Dezember 2021 lautet der entsprechende Absatz:

Grüter war einer der wenigen Schweizer Politiker, der Position für den amerikanischen Präsidenten Donald Trump ergriff. Er habe Respekt für Trumps Werdegang und unterstütze viele seiner Ideen. Ansonsten habe er niemanden mit der Bearbeitung seines Artikels beauftragt, so Grüter. Die eigene Webseite sei für ihn wichtiger als sein Wikipedia-Eintrag.

NR Roland Rino Büchel (SVP/St.Gallen): intransparent, sachlich

Der Eintrag des St.Galler SVP-Nationalrats Roland Rino Büchel wurde fast zur Hälfte von User Rightsight.ch verfasst. Wer die URL eingibt, landet auf der Webseite der Ostschweizer Digitalagentur Siebenberge. Einen Hinweis auf die Beteiligung der Agentur sucht man auf dem Wikipedia-Eintrag des Politikers jedoch vergebens. Der Text ist sehr sachlich gehalten und entspricht dem Standard der Wikipedia. Dennoch wollten wir von Roland Rino Büchel wissen, ob er eine Agentur engagiert habe, um seinen Artikel zu bearbeiten. Seine Antwort: «Nein.»  

SR Regula Rytz (Grüne/Bern): mangelnde Transparenz, sachlich

Der Eintrag der Ständerätin und ehemaligen Parteipräsidentin der Grünen wurde zu 38,2 % von User Eliza Kamm verfasst. Dass es sich dabei um eine gleichnamige Mitarbeiterin von ihr handelt, bestätigt die Politikerin auf Anfrage. Nach Abgabe des Parteipräsidiums im Juni 2020 habe sie ihre damalige persönliche Mitarbeiterin darum gebeten, ihre Funktionen bei Wikipedia und anderen Nachschlagewerken zu aktualisieren. Eliza Kamm habe sich daraufhin nach den Spielregeln erkundigt und die entsprechenden Änderungen vorgenommen. «Sie hat das wie immer eigenständig – also ohne konkrete Textvorschläge von mir – gemacht», so Regula Rytz. Dass dieses Engagement nicht ausreichend transparent gemacht worden, bedauere sie. Und fügt an: “Ich überlasse es gerne der Wikipedia-Community, zukünftige Veränderungen in meinem politischen und beruflichen Lebenslauf zu ergänzen.”

Selber nutzt die Politikerin Wikipedia häufig, um sich einen kurzfristigen Einblick in ein Themenfeld zu verschaffen. Sie schätze die Plattform als wertvoll sowie neutral ein und finde ihre Unabhängigkeit sehr relevant. “Aussagen müssen faktuell sowie und belegt sein und von der Community im Sinne der Grundwerte freigegeben werden”, so Regula Rytz. “Innerhalb dieser Spielregeln scheint aber einiges möglich zu sein.” Sie habe sich kurz die Einträge anderer (früherer) Parteipräsident:innen angeschaut und dabei festgestellt, dass teilweise ausführlich und positiv über inhaltliche Positionen oder mediale Einschätzungen berichtet werde. Bei ihrem Eintrag ist das nicht der Fall: dieser ist sehr sachlich verfasst und beinhaltet kaum Informationen zu ihren Positionen.

SR Andrea Caroni (FDP/Ausserrhoden): mangelnde Transparenz, sachlich

Die wichtigste Autorin des Wikipedia-Eintrags von Ständerat Andrea Caroni ist User Anneliese Looser mit 32.9%. Eine kurze Recherche ergibt, dass eine gleichnamige Person für die Webseite des FDP-Politikers verantwortlich ist. Andrea Caroni bestätigt auf Anfrage, dass es sich dabei um seine Webmasterin handelt. Diese habe seinen Wikipedia-Eintrag mit der Absicht bearbeitet, den Inhalt zu ergänzen und möglichst aktuell zu halten. Dass sich User mit Interessenkonflikt transparent ausweisen sollten, sei weder ihm noch seiner Mitarbeiterin bewusst gewesen. Das könne daran liegen, dass sie den Beitrag als Privatperson und nicht als Agentur oder PR-Profi bearbeitet habe, so Caroni. Der Ständerat legt Wert darauf, zu betonen, dass sein Artikel keine politischen Statements enthält, sondern lediglich faktuelle Informationen über ihn und seine Verbindungen innerhalb der Politik. Tatsächlich ist der Eintrag vergleichsweise umfangreich, jedoch sachlich und neutral gehalten. «Es liegt mir am Herzen, dass Wikipedia ein neutrales Terrain bleibt», schreibt Caroni. Er würde sich darüber freuen, wenn andere Personen seinen Eintrag ergänzen oder anpassen möchten.

NR Martin Candinas (CVP/Graubünden): intransparent, sachlich

Mit 23.6% hat User Crossmultimedial am meisten zum Eintrag des Bündner Nationalrats Martin Candinas beigetragen. Der Username deckt sich fast gänzlich mit dem Benutzernamen, den die ehemalige Kampagnenleiterin der CVP, Laura Curau, für ihr Pinterest-Profil verwendet. Auf Anfrage bestätigt diese die Recherche und erklärt, dass sie den Eintrag von Martin Candinas im Vorfeld der Nationalratswahlen im Oktober 2011 erstellt hat. «Es ging uns darum, dass die Spitzenkandidaten auf Wikipedia zu finden sind», sagt sie. «Wir wussten, dass wir den Text sehr neutral halten müssen, damit er so belassen wird.» Tatsächlich sind die Bearbeitungen sehr sachlich gehalten.

Sonstige Interessenkonflikte

Die folgenden Fälle lassen sich nicht zweifelsfrei als Bezahltes Schreiben im Sinne der Wikipedia definieren. Klar ist: Aufgrund der Verbindungen zwischen bearbeitenden Usern und betroffenen Politiker:innen liegen relevante Interessenkonflikte vor. Sollten sich die User von ihrer Bearbeitung materielle oder immaterielle Vorteile versprochen haben, würde es sich um Bezahltes Schreiben handeln.

BR Ignazio Cassis (FDP/Tessin): Zensurversuch

Am 20. September 2017 wurde Ignazio Cassis als Nachfolger von Didier Burkhalter in den Bundesrat gewählt. Neun Tage zuvor war er dem Verein Pro Tell beigetreten, der sich für ein liberaleres Waffenrecht in der Schweiz einsetzt.

Die Mitgliedschaft brachte ihm öffentliche Kritik aber auch Unterstützung ein. So setzten sich die Waffenfreunde in den entscheidenden Tagen vor der Wahl aktiv für Cassis und gegen seinen parteiinternen Konkurrenten Pierre Maudet ein.3 Cassis wurde gewählt und trat bereits am 16. Oktober mit einer eher fadenscheinigen Begründung wieder aus dem Verein Pro Tell aus. Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Denn das Internet vergisst nicht.

Am 14. Oktober 2017, kurz vor 23 Uhr, ergänzte User Pinguin55 den Wikipedia-Eintrag von Neo-Bundesrat Cassis mit dem Satz: „Anfang September 2017 wurde er Mitglied im Waffenlobby-Verein ProTELL“. Zwei Tage später fügte er einen Hinweis auf die öffentliche Kritik und Cassis’ Rückzieher hinzu. Wer sich nun online über den neuen Bundesrat informierte, wurde nach einem Abschnitt über Cassis’ Leben und politisches Wirken auch auf seine Nähe zur Schweizer Waffenlobby hingewiesen.

Das passte nicht allen. Am 1. November 2017 um 14:25 Uhr entfernte ein anonymer User mit der IP-Adresse 193.5.216.100 den kritischen Satz. Besonders brisant: Die IP-Adresse lässt sich dem Bundesamt für Informatik und Telekommunikation zuordnen. Ob die Löschung in offiziellem Auftrag oder aus privater Motivation geschehen ist, kann nicht abschliessend geklärt werden. «Es ist schwierig zu wissen, wer die Bearbeitung durchgeführt hat und ob sie von Ignazio Cassis in Auftrag gegeben wurde», sagt der Wikipedianer Hadi. Für einen bewussten Eingriff spricht die Tatsache, dass Ende 2017 eine Online-Löschaktion aus dem Umfeld des neu gewählten Bundesrats bekannt wurde. Damals machte der Tagesanzeiger publik, dass Cassis kurz vor Weihnachten über 90 Prozent seiner Twitter-Nachrichten verschwinden liess. Die IP-Adresse des Bundesamtes für Informatik und Telekommunikation wird allerdings von tausenden Personen der Bundesverwaltung genutzt. In der Vergangenheit ging das Wikipedia-Engagement der Beamten so weit, dass sie vorübergehend von der Wikipedia aussperrt wurden. Theoretisch dürften sie über die IP-Adresse “keine Bearbeitungen im Auftrag eines Amtes” vornehmen. Offizielle Eingriffe müssten über einen verifizierten Account des Bundes geschehen. Ob diese Regel eingehalten wird, lässt sich nicht kontrollieren.

NR Ruth Humbel (CVP/Aargau): mangelnde Transparenz, sachlich

Der Eintrag von Ruth Humbel wurde zu 43.5% von User IG seltene Krankheiten verfasst. Der User hat kein Benutzerkonto erstellt und macht damit nicht transparent, in wessen Auftrag er die Bearbeitungen vorgenommen hat. Klar ist: Präsidentin der Interessengemeinschaft ist Ruth Humbel selbst. Unsere Anfrage an die Nationalrätin blieb unbeantwortet. Der Eintrag ist aber sachlich und neutral verfasst.

NR Sandra Sollberger-Muff (SVP/Baselland): mangelnde Transparenz, sachlich

Ein Sonderfall ist der Wikipedia-Eintrag der Basler Nationalrätin Sandra Sollberger-Muff. Drei User mit ähnlichem Namen haben insgesamt 40.8 Prozent ihres Eintrags verfasst. Sowohl bei SimeonSollberger (18.9%), als auch bei Sollberger Simeon (11.5%) und Sollberger (10.4%) könnte es sich um den Ehmann der Parlamentarierin, Simeon Sollberger, handeln. Keines der drei Profile macht den mutmasslichen Interessenkonflikt transparent. Eine entsprechende Anfrage an die Politikerin blieb unbeantwortet.

Die mutmassliche Verwandtschaft hat allerdings keinen Einfluss auf die Neutralität der Bearbeitungen: Alle Beiträge der drei User sind sachlich und objektiv verfasst.

Potenzielle Interessenkonflikte

Einige politische Autor:innen haben nur eine indirekte Verbindung zu den von ihnen beschriebenen Politiker:innen und handeln aus eigenem Antrieb. Ihrer Arbeit liegt ein potenzieller Interessenkonflitk zugrunde, da sie entweder mit einer Partei assoziiert sind oder ein reges Interesse für Politiker:innen einer bestimmten Partei pflegen. Zwei solche User werden in diesem Kapitel vorgestellt.

NR Therese Schläpfer (SVP/Zürich)

Der Eintrag der Zürcher SVP-Nationalrätin Therese Schläpfer wurde zu 78.6 Prozent von User Tmweidmann verfasst, dessen Benutzername sich auf den Zürcher SVP-Kantonsrat Tobias Weidmann zurückführen lässt. Dieser bestätigt auf Anfrage, dass er den Eintrag im August 2019 erstellt hat. Er habe damals festgestellt, dass Therese Schläpfer trotz ihrer Wahl in den Nationalrat über keinen Wikipedia-Artikel verfügte. Aufgrund seiner IT-Affinität erstellte der Politiker seinen ersten und bislang einzigen Eintrag – aus eigenem Antrieb und ohne Bezahlung, wie er betont. «Ich schätze Wikipedia sehr und habe daher darauf geachtet, den Artikel möglichst kurz und sachlich zu halten», so Weidmann. Tatsächlich liest sich sein Beitrag sehr neutral.

NR Barbara Schaffner (GLP/Zürich)

Der Eintrag der Zürcher GLP-Nationalrätin Barbara Schaffner wurde zu 88.8 Prozent von User Haemmerli verfasst. Dieser gibt sich auf seiner Benutzerseite als «Autor, Journalist, Filmer, Schreiberling, Künstler und Kommunikator» Thomas Haemmerli zu erkennen. Was da nicht steht: Haemmerli ist auch Gründer der Kommunikationsagentur haemm.com und im Rahmen eines tiefen Teilzeitpensum für diese tätig. Auf der Firmen-Webseite beschreibt er sich selbst als «diskreten Ghostwriter, Krisenberater und Coach für Medienangelegenheiten».

Das ändert nichts daran, dass der Eintrag von Barbara Schaffne sachlich verfasst ist. Dank der Bearbeitungen von User Haemmerli enthält er aber zahlreiche Details zu Schaffners Werdegang und ergibt einen positiveren Gesamteindruck als der durchschnittliche Parlamentarier:innen-Artikel. So bleibt etwa auch Schaffners «erfolgreicher Vorstoss gegen das Verschwinden einheimischer Krebsarten» nicht unerwähnt.

Barbara Schaffner erklärt auf Anfrage, dass sie von Thomas Haemmerli kontaktiert worden sei und ihm ihre Publikationsliste zur Verfügung gestellt habe. Sie habe ihn aber nicht mit der Bearbeitung ihres Eintrags beauftragt. Es sei wenig erstaunlich, dass der Erstautor bei einem relativ jungen Beitrag für einen grossen Teil des Eintrags verantwortlich ist. “Die Neutralität ist für Wikipedia zentral”, schreibt die Politikerin. “Durch die sorgfältigen Quellenangaben durch Herrn Haemmerli und die Möglichkeit unzähliger weiterer Autoren für Anpassungen am Artikel sehe ich diese nicht gefährdet.”

Auch der erfahrene Wikipedianer Hadi sagt: “Solange Wikipedia als Lebenslauf verstanden wird, sehe ich die Neutralität nicht gefährdet.” Schwieriger werde es, wenn es um Kritik oder Wertungen gehe. Was in einem Politiker:innen-Profil enthalten sein darf und was unter unerlaubter Werbung läuft, ist nicht klar definiert. Die weit gefassten Relevanzkriterien der Wikipedia könnten das Grundverständnis der Wikipedia untergraben, findet etwa der Wikipedianer Mautpreller. Die Gefahr: Statt als Medium des Berichts, werde die Enzyklopädie als Medium der Selbstdarstellung wahrgenommen. User Haemmerli ist aufgrund seiner bisherigen Arbeit für das Wikipedia-Projekt ein etablierter User, weshalb seine Bearbeitungen automatisch gesichtet werden. Heisst: Was er schreibt, muss theoretisch nicht geprüft werden, bevor es aufgeschaltet wird. Im vorliegenden Fall wurden die Bearbeitungen von mehreren Usern überprüft und teilweise verändert. Für welches politische Spektrum sich User Haemmerli interessiert, wird aufgrund der Bearbeitungen schnell ersichtlich: Er ist nicht nur mit Abstand wichtigster Autor der Artikel über Corina Gredig (Nationalrätin GLP/Zürich) oder Min Li Marti (Nationalrätin SP/Zürich), sondern hat auch die Einträge von Nicola Forster (Co-Präsident GLP Kanton Zürich), Flavia Kleiner und Laura Zimmermann (beides ehemalige Co-Präsidentinnen Operation Libero) sowie des GLP-Thinktank glp lab verfasst. “Ich schreibe privat und ehrenamtlich über Personen und Sachen, die mich interessieren”, erklärt Thomas Hammerli auf Anfrage. Verfasse er einen Artikel, wisse er danach alles über eine Person, da er versuche, alles zu finden, was sich finden lasse. Das und die Begeisterung für Wikipedia seien seine Motivation. Wichtig sei dabei, dass er selbst entscheide, worüber er schreibe, so Haemmerli. Weder von Min Li Marti, noch von Corina Gredig, Barbara Schaffner oder anderen Partei-Exponent:innen sei er je für seine Wikipedia-Aktivitäten bezahlt worden.  Dass man Personen, über die man Einträge verfasst, eine gewisse Sympathie und vor allem Interesse entgegenbringt, gehöre hingegen zu den Treibern von Wikipedia. Bezüglich seiner Identität und seiner politischen Positionen sei er transparenter als viele andere User, so Thomas Hammerli. Wikipedia fordere aber keine politische und weltanschauliche Abstinenz, sondern vielmehr Neutralität im Schreiben. Das bedeute: Keine Werturteile der Schreibenden, Bearbeitungen müssen belegt werden und Wichtiges dürfe nicht unerwähnt bleiben. ”Diese Grundsätze finde ich richtig und wichtig und ich halte mich daran”, so Haemmerli.

NR Corina Gredig (GLP/Zürich)

Wie bei ihrer Parteikollegin Barbara Schaffner ist User Haemmerli auch beim Eintrag von GLP-Nationalrätin Corina Gredig der mit Abstand wichtigste Autor. Seine Arbeit als Kommunikationsspezialist sowie sein Interesse für das linksgrüne Politikspektrum wurden bereits im vorangehenden Fallbeispiel erwähnt.

Auch im Artikel von Corina Gredig kommen subtil wertende Elemente vor, weshalb sich im Vergleich zu anderen Parlamentarier:innen-Einträgen ein leicht positiveres und weniger sachliches Gesamtbild ergibt. Zum Beispiel: «2018 wurde sie mit auffällig vielen Panaschierstimmen in den Stadtzürcher Gemeinderat gewählt.» Oder: «Das Duo will die Partei erneuern und jüngere sowie digital affine Wählersegmente ansprechen.»

Den Artikel über sich habe sie weder bezahlt noch veranlasst, schreibt Corina Gredig auf Anfrage. Er erscheine ihr ausserdem nicht ausserordentlich und die nötigen Quellen würden genannt. “Es steht ja jedem frei, den Beitrag jederzeit abzuändern”, so die Politikerin. Aufgrund des tiefen Anteils von Frauenprofilen habe sie sich selbst schon überlegt, bei Wikipedia mitzuschreiben.

NR Min Li Marti (SP/Zürich)

Wie bei den GLP-Politikerinnen Barbara Schaffner und Corina Gredig ist User Haemmerli  auch beim Eintrag der SP-Parlamentarierin Min Li Marti der wichtigste Autor.  Seine Arbeit als Kommunikationsspezialist sowie sein interesse für das linksgrüne Politikspektrum wurden bereits in den vorangehenden Fallbeispielen erwähnt. Dass der Autor gemeinsam mit Min Li Marti bei der Kommunikationsagentur haemmerlischaefer contemporary communications gearbeitet hat, lässt er in seinem Benutzerprofil unerwähnt.

Der Eintrag der SP-Politikerin ist sachlich verfasst, spart aber nicht mit Details. So ergänzte Haemmerli den Artikel im August 2013, vor der Stadtratswahl in Zürich, mit  dem Hinweis, dass «Marti als eine von zwei klaren Favoriten» bezeichnet werde. Eine wenig relevante Ergänzung, die nach der verlorenen Wahl wieder verschwand. User Albinfo schrieb im Juni 2015: «Einzelne Reden müssen hier wohl nicht aufgeführt werden … Auch sonst scheint es zum Teil mehr darum zu gehen, gewisse Websites in der Wikipedia verlinkt zu haben. Nichtssagende Nachweise gelöscht.» Nationalrätin Min Li Marti erklärt auf Anfrage, dass sie den Wikipedia-Eintrag erst nach seiner Veröffentlichung wahrgenommen habe. Den Autoren Thomas Haemmerli kenne sie zwar, sie habe aber zum Zeitpunkt der Bearbeitungen nicht mit ihm zusammengearbeitet und ihn auch nie mit PR-Arbeit beauftragt.

Anonyme User

Im Rahmen unserer Recherche konnten wir nur diejenigen User mit Interessenkonflikt identifizieren, die einen auffälligen Benutzernamen wählten oder bestimmte Angaben zu ihrer Person gemacht haben. Daneben gibt es zahlreiche anonyme User, die versucht haben, mit ihren Bearbeitungen die Wahrnehmung der Politiker:innen zu manipulieren. Da ihre Benutzernamen aber keine Rückschlüsse auf die schreibende Person erlauben, lässt sich ein allfälliger Interessenkonflikt weder be- noch widerlegen. Es muss daher von einer relevanten Dunkelziffer der politisch motivierten User ausgegangen werden. Zwei Beispiele sind im Folgenden aufgelistet:

SR Josef Dittli (FDP/Uri): Werbung

Bis 2008 bestand der Wikipedia-Eintrag des Urner Ständerats Josef Dittli aus sieben sachlichen Sätzen.

Das änderte sich, als am Abend des 26. Oktober ein anonymer User mit der IP-Adresse 83.78.76.209 in die Tasten griff. Mit lobenden Worten pries er Dittlis politisches Schaffen und ganz besonders seine Rolle bei der Anwerbung des ägyptischen Investors Samih Sawiris für das Tourismusresort in Andermatt:

„Ihm ist zu verdanken, dass der Investor den Weg in den Kanton Uri fand. So gelang es ihm im November 2004, über Herrn Botschafter Raimund Kunz den Kontakt zum Investor zu knüpfen und diesen erstmals im Februar 2005 nach Andermatt einzuladen, um ihn von den Schönheiten der Region zu überzeugen und mit ihm das wirtschaftliche und touristische Potential zu erörtern. Er führte während eines Jahres als Vorsitzender einer diskret arbeitenden Arbeitsgruppe die erfolgreich verlaufene Anwerbephase.“

Es sind Sätze, die eins zu eins von der Webseite der FDP übernommen wurden. Und dort gehören sie hin - auf der Wikipedia hingegen verstossen die werbenden Worte gegen den Grundsatz des neutralen Schreibens. Das realisierte auch User Manib - allerdings erst am 31. Dezember 2018, zehn Jahre zu spät. Er löschte die unzulässigen Informationen mit dem Hinweis: „Klang teilweise wie aus einem Bewerbungsportfolio“

NR Petra Gössi (FDP/Schwyz): Zensurversuch, Beschönigung

Am 6. August 2018 bearbeitete der anonyme User Smackiii das Profil der FDP-Nationalrätin und damaligen Parteipräsidentin Petra Gössi. Ein grosser Teil des Abschnittes zu Gössis politischer Position verschwand und wurde mit neuen Informationen ersetzt. So wurde aus den Sätzen «Gössi gehört zum wirtschaftsliberalen Flügel der FDP» und «Gegenüber einem ausgebauten Umweltschutz und der finanziellen Kulturförderung durch den Bund ist sie eher skeptisch» neu der Abschnitt

«So sagt sie [Petra Gössi] von sich selber: ‘Es ist der Glaube an die Fähigkeiten jedes einzelnen Menschen, der den Kern meiner Politik ausmacht. Deshalb brauchen wir den Staat nur als Organisator jener Aufgaben, die wir als Individuen nicht lösen können. Wir alle haben die Kraft und das Recht, frei über unser Leben zu entscheiden, solange wir damit den anderen nicht schaden. Deshalb bin ich bei der FDP.» Zudem wurden Informationen zu Gössis «zunächst ablehnenden Position zur Heirat und zur Stiefkind-Adoption von gleichgeschlechtlichen Paaren» gelöscht. Die offensichtliche Beschönigung machte User «Mautpreller» innert weniger Minuten rückgängig. Seine Bemerkung dazu: «Bitte keine Eigenwerbung».

Die Kontrolleure

Die meisten der von uns entdeckten Manipulationsversuche wurden verhindert oder innert kürzester Zeit rückgängig gemacht. Das ist das Verdienst der aktiven Wikipedia-Community rund um etablierte User wie KurtR oder Hadi. Ihre Namen tauchen immer wieder auf, wenn es darum geht, ungerechtfertigte Löschungen oder Beschönigungen in Einträgen der Politiker:innen zu verhindern.

Bei dieser Kontrollarbeit werden die Wikipedianer durch ein Sichtungssystem unterstützt: Alle Bearbeitungen durch neue oder nicht angemeldete User werden etablierten Usern (sogenannten aktiven Sichtern) angezeigt und müssen von diesen geprüft werden, bevor sie auf der Webseite erscheinen. Insbesondere plumpe Löschungen und offensichtliche Werbetexte werden so sofort entdeckt und rückgängig gemacht.

Doch trotz diesem grossen Engagements der Wikipedianer, hat auch dieses System seine Schwachstellen. Einerseits existieren sogenannte automatische Sichtungen: Wer mehr als 50 Bearbeitungen getätigt hat, wird automatisch gesichtet und nicht zwingend überprüft – die Bearbeitungen fliessen also direkt in die aktuelle Version des Eintrags ein. Einige politische User wie zum Beispiel Haemmerli oder FDP SG haben diese Schwelle überschritten und können einfacher Änderungen vornehmen.

Zudem bedeutet eine Sichtung nicht immer, dass Bearbeitungen im Detail überprüft werden. Sie sage nicht „über die Qualität der Artikelinhalte aus und bietet keine Garantie für einen korrekten Inhalt», heisst es auf der entsprechenden Erklärseite der Wikipedia. Inhaltlich durchdachte Veränderungen können also übersehen werden und die Zeitdauer bis zur Sichtung variiert stark: Kleine Tippfehler beispielsweise werden tendenziell schneller gesichtet als grosse Überarbeitungen. Das zeigt sich etwa bei der Lobby-Löschung der Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret. Auch bei FDP-Ständerat Josef Dittli wurde ein grösserer Werbeblock erst zehn Jahre später entdeckt. Und der persönliche Mitarbeiter von Andri Silberschmidt (FDP) veränderte dessen Biographie so elegant, dass der Schulabbruch des Nationalrats nicht mehr erwähnt wurde.

Wie also liesse sich diese Art von Einflussnahme verhindern? Und wie könnten die Lesenden transparenter informiert werden, dass auch politische Akteure mit Interessenkonflikt mitschreiben?

Kontroverse und Lösungsansätze

Innerhalb der Wikipedia-Community wird das Schreiben mit Interessenkonflikt kontrovers diskutiert. Einige wollen das bezahlte Schreiben ganz verbieten, andere sehen in einem Verbot nur den Beginn neuer Probleme.

Aktuell gilt: Wer bezahlt oder mit einem Interessenkonflikt schreibt, muss seine Assoziierung offenlegen. Für den Wikipedianer Mautpreller geht das zu wenig weit. Er argumentiert, dass die Offenlegungspflicht das bezahlte Schreiben nur legitimiere. Damit werde die fatale Botschaft gesendet, dass Schreiben mit Interessenkonflikt unproblematisch sei. „Bezahltes Schreiben unterminiert den Objektivitätsanspruch der Wikipedia systematisch“, schreibt der User auf Anfrage. Es müsse daher verboten werden.

Doch solche Verbote haben es schwer. Das zeigt etwa eine Abstimmung innerhalb der Wikipedia-Community, die kürzlich zu Ende gegangen ist. Bis Ende November konnten die User mitentscheiden, ob Auftragsarbeiten durch PR-Dienstleister verboten werden sollen. Die Autorengemeinschaft sei nicht ausreichend in der Lage, die Spreu vom Weizen zu trennen, hatte das Initiativkomitee argumentiert: «Die Motivation der Ehrenamtlichen wird durch kommerzielle Methoden und Gewinnabsichten gefährdet.» Dass bezahlte Autor:innen gegen Grundprinzipien wie die Neutralität oder die Relevanzkriterien verstossen, könne selbst eine Offenlegungspflicht nicht verhindern. Und: Für eine flächendeckende Überprüfung der Bearbeitungen fehle es an Arbeitskraft und Motivation.

121 User sprachen sich für ein generelles Verbot aus, 171 dagegen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass das Nein-Lager zu einem grossen Teil nicht gegen schärfere Regeln ist, sondern an der Umsetzbarkeit eines Verbotes zweifelt. „Löst das Problem nicht, sondern verschiebt es in die Illegalität“, schreibt User Fano. „Better the devil you know“, bringt es User DaB auf den Punkt. „Lieber das Ganze offiziell halten und so die Möglichkeit haben die schlechten Agenturen zu sperren, als alles in den Untergrund zu verdrängen (…).“

«Es gibt keine einfachen Lösungen für das bezahlte Schreiben», sagt auch der erfahrene Wikipedianer Hadi. Was es hingegen gibt, sind unterschiedlichste Lösungsansätze, die alle Beteiligten in die Pflicht nehmen.

So könnten zum Beispiel bei Einträgen zu lebenden Personen Warnhinweise eingefügt werden, welche die Lesenden vor möglicherweise nicht-neutralem Inhalt warnt. Ein ähnliches Vorgehen gibt es bereits bei Gesundheits- und Rechtsthemen. Auch liessen sich die Relevanzkriterien strenger gestalten, damit deutlicher wird, was in einen Artikel gehört und was nicht. Insbesondere bei Einträgen zu Politiker:innen ist das oft eine Grauzone und von den beteiligten Personen abhängig. Schwache Relevanzkriterien würden das Grundverständnis der Wikipedia untergraben, findet auch User Mautpreller. Die Gefahr: Statt als Medium des Berichts, werde die Enzyklopädie als Medium der Selbstdarstellung wahrgenommen.

Weiteres Verbesserungspotenzial sieht er beim Thema Transparenz: Eine Offenlegungspflicht mache nur dann Sinn, wenn Interessenkonflikte für alle Lesenden ersichtlich seien. Aktuell muss man diese mühsam im Versionsverlauf der Wikipedia-Einträge zusammentragen.

Doch die Verantwortung liegt nicht allein bei der Wikipedia-Community. Es brauche mehr Aufklärungsarbeit, damit sich bezahlte User und Politiker:innen an die Richtlinien halten, so der Wikipedianer Hadi. Er sei froh darum, wenn Firmen mit Belegen ihre aktuellsten Geschäftszahlen nachtragen oder Politiker:innen ihre Funktionen aktualisieren. «Doch sobald es um Wertungen geht, wird es kritisch.»

Etwas beitragen können zudem auch die unzähligen Nutzer:innen, die täglich vom gesammelten Wissen der Wikipedia profitieren. “Es sollten mehr Menschen aktiv mitmachen und gemeinsam die Millionen von Artikeln im Auge behalten“, so Wikipedianer Hadi. Andererseits sei ein solches Projekt auf eine mündige Leserschaft angewiesen, die einordnen kann und kritisch denkt. Denn die Plattform selbst geht sehr offen mit den eigenen Unzulänglichkeiten um: Mehrere Seiten thematisieren Kritik an der Enzyklopädie, was sie nicht sein will und wo ihre Schwachstellen liegen. So ist die Wikipedia das, was sie vorgibt zu sein: Eine wahnsinnig umfangreiche, von Laien und Experten:innen gemeinsam verfasste Online-Enzyklopädie - mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen.

Titel Wikipedia-Recherche